Auf geht’s nach Italien und Hongkong

Der Wiednitzer Kunstrad-Vierer mir Nadine, Hannah, Charlott und Anna hat den Sprung auf das internationale Parkett geschafft.


Der „Gegentorfahrt-Steiger-rückwärtsgleichzeitig“ ist schon lange kein Problem mehr. Das war im Alter von 12- und 13 Jahren noch anders. Jetzt kommt es für die Anfang 20-jährigen Nadine Jenchen, Hannah Schulze, Charlott Boden und Anna Buchwald vom Radfahr-Verein (RfV) 1900 Wiednitz darauf an, deutlich schwierigere Elemente wie etwa die „Remmlinger Drehung“ absolut synchron und ohne Wackeln aufs Parkett zu zirkeln. Geschehen soll das demnächst bei zwei UCI-Weltcup-Wettbewerben im Kunstradfahren – zuerst am 2. März in Tarquinia bei Rom und im Sommer am 11. August in Hongkong.


Erst gescherzt, dann sprachlos

Das Jahr begann für die vier Kunstradfahrerinnen mit einem Paukenschlag: Beim ersten Training am 6. Januar waren sie von Trainerin Anja Preuß überrascht worden. Diese hatte bereits am 27. Dezember vom Bund Deutscher Radfahrer (BDR) die Anfrage bekommen, ob der Vierer nicht bei diesen beiden Weltcups an den Start gehen möchte. Die jungen Damen waren erst einmal baff. „Wir hatten vorher schon von den Weltcup-Terminen gehört und wo es hingehen soll“, erzählt Anna. „Und wir haben gescherzt, dass die anderen wohl nicht nach Hongkong fahren werden, weil es ihnen zu weit ist.“ Dass daraus Ernst werden würde, damit hatte jedoch niemand gerechnet. „Wir waren alle sprachlos. Wir haben es gar nicht glauben können“, beschreibt Charlott die erste Reaktion. Und Anna fügt hinzu: „Es war ein Traum, dass wir aus dem kleinen Wiednitz mal so groß starten dürfen.“ Und das auch noch in einer so weit entfernten Metropole wie Hongkong. „Wir wissen nicht, wann und ob wir diese Chance je wiederbekommen.“ Die Sportlerinnen und ihre Trainerin waren sich daher schnell einig, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um diese Weltcups wahrzunehmen. „Auch wenn es Hongkong ist – und das für nur fünf Minuten Fahren“, merkt Charlott an. In diesen fünf Minuten sind 25 verschieden Übungen mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden und Punktwerten auf das Parkett zu zaubern. Vorgetragen wird das Programm nach einer von Hannah auf dem Klavier eingespielten Musik, die das Quartett seit 2017 begleitet. Langweilig wird das nicht, versichern die Kunstradfahrerinnen. „Im Gegenteil, die Musik wirkt auf uns sogar beruhigend.“ Das helfe gegen die Nervosität vor dem Wettkampf.


Freuen sich auf das bevorstehende Weltcup-Abenteuer: (v.l.) Hannah Schulze, Charlott Boden, Trainerin Anja Preuß, Anna Buchwald, und Nadine Jenchen.


Ehrgeiz und Zusammenhalt

Den Wiednitzer Vierer mit Nadine, Hannah, Charlott und Anna gibt es seit 13 Jahren in der gleichen Besetzung. Als deutsche Vize-Meister bei den Schülerinnen A haben sie 2016 schon frühzeitig auf das in ihnen schlummernde Potenzial aufmerksam gemacht. Inzwischen können sie auf neun Sachsenmeistertitel und acht Titel als Ostdeutsche Meister verweisen. „Ehrgeiz und Zusammenhalt“, ist für sie der Schlüssel zum Erfolg. „Weil sie alle wollen und wissen, was sie wollen. Es gibt immer Höhen und Tiefen. Aber hier überwiegen die Höhen“, ergänzt Trainerin Anja Preuß. Allein schon die vier jungen Damen zum Training unter einen Hut zu bekommen, ist nicht ganz einfach. Drei von ihnen studieren außerhalb, eine absolviert eine Ausbildung. Trainiert wird daher am Montag zwei Stunden zu dritt. Nur am Freitag und Samstag ist das Quartett vollständig und sitzt mindesten jeweils zwei Stunden auf dem Rad. „Manchmal sind es auch bis zu drei oder vier Stunden“, merkt Charlott an. Darüber hinaus wird selbstständig unter der Woche Kondition und Kraft trainiert. Selbstdisziplin ist gefragt. „Man weiß, wofür man das alles macht“, sagt Anna. „Man hat ein Ziel vor Augen.“ Und Erfolg motiviert. Den Weg auf das internationale Parkett haben sich die vier Wiednitzerinnen mit ihrem Abschneiden bei den Wettkämpfen im vergangenen Jahr geebnet. Ausgangspunkt war der Bundespokal im Einradsport, bei dem sie zu den fünf Besten gehörten und sich so die Teilnahme an den Qualifikationsrunden für die Weltmeisterschaften gesichert haben. In deren Ergebnis belegten Nadine, Hannah, Charlott und Anna den 4. Platz, der die Aufnahmen in den aus vier Teams bestehenden BDR-Trainingskader bedeutete. Da einer der in diesem Kader vor ihnen platzierten Vierer die Besetzung verändert und so den Kader-Platz verloren und ein weiterer Vierer auf sein Startrecht verzichtet hat, rückten die Wiednitzer auf den 2. Platz im Kader. Und der berechtigt zur Teilnahme an der Weltcup-Serie.


Zehntelpunkte entscheiden

Die Starterliste für den Wettkampf in Italien steht bereits fest. Es sind wenige Punkte, die zwischen den besten vier Mannschaften, darunter Wiednitz, liegen. Die schärfsten Konkurrentinnen kommen aus Deutschland und der Schweiz. „Es ist alles möglich“, sagt Charlott. „Es können Zehntelpunkte darüber entscheiden, wer welchen Platz belegt.“ Die Weltcup-Serie insgesamt besteht aus vier Wettkämpfen. Die Wiednitzer sind nur bei zwei davon am Start, weil der Verzicht des vor ihnen im Trainingskader platzierten Vierers nur für die Weltcups in Italien und China gilt. Zwangsläufig sind sie auch benachteiligt, was die Weltcup-Gesamtwertung angeht. „Wir freuen uns aber trotzdem, dass wir die Chance bekommen haben, überhaupt teilzunehmen“, sagen die Sportlerinnen.


Der Wiednitzer Damen-Vierer beim Training in der heimischen Sporthalle. Zum Wettkampf-
Programm gehören 25 Übungen, die in fünf Minuten zu absolvieren sind.


Unterstützung ist willkommen

Das Weltcup-Erlebnis ist für die Wiednitzer eine kostspielige Sache. Nach Italien geht es mit dem Auto. Das ist noch mit einem überschaubaren Aufwand zu bewerkstelligen. Eine ungleich größere Herausforderung wird da die Tour nach Hongkong, insbesondere auch hinsichtlich der Logistik und der Kosten, schließlich gehen auch die Wettkampfräder mit auf Reisen. Da der Weltcup im Gegensatz zur Weltmeisterschaft als Wettbewerb auf Vereinsebene betrachtet wird, gibt es vom BDR keine Unterstützung. Beim Sächsischen Radfahrerbund läuft noch eine Anfrage. Die Weltcup-Teilnahme ist also selbst zu finanzieren.

Die kürzlich durchgeführte Weihnachtsbaum-Versteigerung in Wiednitz hat 800 Euro eingebracht (TAGEBLATT berichtete). Unterstützung gibt es vom Verein, freut sich Anja Preuß. Die Gesamtkosten könne der natürlich nicht stemmen. „Deshalb sind wir kräftig am Sammeln.“ Unter anderem soll am 1. März eine Crowdfunding-Aktion auf dem 99Funken-Internet-Portal der Ostsächsischen Sparkasse starten. „Dort hoffen wir auf rege Beteiligung.“ Damit es mit dem Weltcup-Start in Hongkong klappt. Denn, dass „es so ein Verein wie wir, auch mal schafft, an einem solchen Wettkampf teilzunehmen, das hatten wir in unserer Vereinsgeschichte noch nicht. Das gab es auch sachsenweit noch nicht“, sagt die Trainerin nicht ohne Stolz.


Text: Ralf Grunert

Quellen-Angabe: Hoyerswerdaer Tageblatt/Sächsische Zeitung vom 21.2.2024